Die Männer-Clique wurde sein Highlight und ich kann das Haus endlich in Ruhe auf Vordermann bringen
Regina und Rainer Poller sind ein Ehepaar, wie es sie heutzutage im Alter von über 80 noch häufig gibt. Seit 64 Jahren sind sie verheiratet und teilen ihr Leben Seite an Seite ununterbrochen und glücklich. Das Versprechen von damals sich in guten wie in schlechten Zeiten beizustehen, wird häufig bei letzterem zur Herausforderung und zehrt an den Kräften. So auch bei unser Frohnatur Regina. Als ihr Ehemann vor zehn Jahren die Diagnose Prostata-Krebs bekommt, wechseln Angst und Hoffnung. „Prostata-Krebs, das hört man heute immer öfter und ich kenne Einige, sogar auch in unserem kleinen Dorf, die das überlebt haben. Wir schaffen das also.“ Regina macht ihrem Ehemann und sich Mut. Sie folgen der Empfehlung des Arztes und stimmen einer Operation unter Vollnarkose zu. Alles klappt prima, die ganze Familie ist überglücklich. Doch die kommenden Monate zeigen die Nebenwirkungen dieser harten OP.
Rainer Poller, ein Mann, der als großer Fußball-Fan jede Jahreszahl, jeden Verein und jeden Spieler aus allen WM- und EM-Spielen im Schlaf kennt, vergisst zunehmend Dinge. Namen und Orte entfallen ihm, er wiederholt seine Fragen. Regina ist anfangs fast genervt, doch schnell ist klar: Ihr Rainer hat Demenz. Zudem stellt sich durch die OP eine Inkontinenz ein. „Die ersten Monate war es gar nicht so schlimm. Auf Anraten unserer Tochter ließen wir uns von einer Tagespflege beraten und haben schnell gemeinsam einen Pflegegrad beantragt. Wir wurden von nun an mit Hilfsmitteln, die beim Umgang mit der Inkontinenz helfen, versorgt und Rainer konnte seinen Alltag recht unbeschwert fortsetzen. Er war immer viel im und am Haus beschäftigt. Holzschneiden war sein Hobby. Sogar kurze Reisen in die nähere Umgebung haben wir unternommen und unsere Musikkonzerte beschwingten uns. Doch nach und nach verschlechterte sich sein Gesundheitszustand. Mir wurde bewusst: es gibt kein Zurück. Die Demenz wird nicht besser und in Verbindung mit der Inkontinenz ist das einfach furchtbar.“ Doch für die Powerfrau Regina Poller war klar: „Ich kümmere mich und sorge für ihn.“ Während Rainer zunehmend mehr schlief und im Sessel sinnierte, übernahm Regina seine Aufgaben. Sie stand morgens noch früher auf, damit sie die Zeit, wo er noch schlief, nutzen konnte. Sie holte die schweren Holzeimer aus dem Garten, machte Feuer im ganzen Haus, radelte in den Supermarkt zum Einkaufen, kochte für die arbeitenden Kinder und Enkelkinder, im Winter schippte sie den Schnee. Und in jeder Sekunde war der Blick auf ihren Ehemann gerichtet. „Ich hatte ja Angst um ihn. Eigentlich wollte ich ihn gar nicht mehr allein lassen. Jeden Einkauf empfand ich als Qual. Und in den ständigen Gedanken an ihn, vergaß ich selbst die Hälfte des Einkaufszettels. Der Kühlschrank wurde dann sein Liebling. Nur Sekunden brauchte er, um diesen zu leeren – egal ob süß oder herzhaft – vor ihm war nichts mehr sicher. Früh, mittags, nachmittags, abends, aber auch nachts. Übergewicht war schließlich die Folge. Er nahm zu, bewegte sich immer weniger und wurde körperlich stetig immobiler. Ich im Gegenzug rannte immer schneller, schlief weniger, aß und trank zu wenig.
Für unsere Kinder und mich war klar, wir müssen etwas ändern. Und so meldete ich ihn schweren Herzens in der Tagespflege an, ein Tag pro Woche. Ich konnte an diesem Tag das Haus auf Vordermann bringen und er war in guten Händen – so dachte ich es mir. Doch seine Welt sah anders aus: er wehrte sich mit Händen und Füßen gegen die Tagespflege und war fest überzeugt, ‚er brauche keine Pflege‘ und ich bekam ein schlechtes Gewissen. Mit Engelszungen bat ich ihn, es wenigstens einen Monat auszuprobieren. Gesagt getan! Zurückblickend war das die beste Entscheidung. Schon bald war er fester Bestandteil der „Männer-Clique“ vor Ort, es waren ja seine Bekannten. Die Rommee-Runden und die Fußballgespräche in der Herren-Ecke wurden seine Highlights der Woche und dass es seiner Erinnerung zufolge täglich Möhreneintopf gab, störte nicht. Durch die Beratung der Tagespflege konnten wir sogar Pflegegrad 3 beantragen und den Aufenthalt auf drei Tage pro Woche aufstocken.“ Rainer genießt die Zeit mittlerweile sehr und mit den anderen Männern liebt und lebt er die Jugendjahre mit viel Lachen und witzigen Erinnerungen. „Nachts spielt er daher jetzt manchmal Fußball daheim“, freut sich Regina und lacht laut. Besonders fasziniert es sie, dass er beim Thema Fußball wieder ‚der Alte‘ ist. Er erzählt überschwänglich von gewonnenen Spielen und unterhält damit auch die Enkelkinder auf den Familienfesten. „Auch die Erzählungen der Pflegerinnen bringen mich wirklich zum Schmunzeln. Stellen Sie sich vor, letztens tanzte mein Rainer sogar – das hat er noch nie gemacht, wenngleich er Musik liebt, so ist er ein Tanzmuffel. Aber die jungen Damen haben das geschafft.
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ZU WISSEN, DASS ES IHM GUT GEHT, SCHENKT MIR DIE RUHE AUCH WIEDER ENTSPANNT MEINEN TAG ZU ORGANISIEREN UND SOGAR ZU GENIESSEN.
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Ich bin glücklich, wenn ich sehe, dass er lacht und die Zeit mit den Pflegerinnen und seinen Männern genießt. Die Eindrücke teile ich dann voller Stolz mit unserer ganzen Familie und unsere Kinder und Enkelkinder finden das sehr amüsant. Wir sind alle froh, dass er durch die Tagespflege einen geregelten Ablauf genießt, wieder mobiler ist und abends am Esstisch sogar wieder Dinge erzählt – manchmal sogar so lustig, dass wir alle mit ihm lachen. Zu wissen, dass es ihm gut geht, schenkt mir die Ruhe auch wieder entspannt meinen Tag zu organisieren und sogar zu genießen. Ab und an gönne ich mir nun sogar einen Tagesausflug mit dem Bus. Am liebsten dann auf einen Kulturausflug, wo auch ich meinen Kopf fit halten kann“, schwärmt Regina und lächelt.