Der unbekannteste Bekannte
Als Senioren-„Studenten“ zwei Semester lang in der „Närrischen Akademie“ ganz viel Wissenswertes über den Komponisten gelernt. „Lehrer Welsch“ stellt den Kölner Komponisten und Textdichter Hans Rudolf Knipp humorvoll vor und gibt mit „De Knippschaff“ musikalische Kostproben.
Verfasst von einem passionierten Schreiber
Jevv dä Rejierende e besser Deutsch un dä Deutsche en bessere Rejierung. Setz dem Üvverfluss Jrenze und loss de Jrenze üvverflüssig weede!“ (auf Hochdeutsch: Gib der Regierung ein besseres Deutsch und den Deutschen eine bessere Regierung. Setz dem Überfluss Grenzen und lass die Grenzen überflüssig werden“). Saugt man die momentane politische Stimmungslage hierzulande auf, könnte man meinen, ein einzelner Deutscher hätte solchen Seufzer von sich gegeben. Was sich beim ersten Lesen wie ein brandaktuelles Stoßgebet nicht nur von Christen in einem Gottesdienst am vergangenen Wochenende anhört, soll in Wahrheit Teil von Fürbitten eines münsterländischen Pfarrers aus dem Jahre 1883 gewesen sein. Der „Eingeweihten“ bekannte und legendäre Komponist und Textdichter Hans Rudolf Knipp (1946-2011) hat den kompletten Fürbitten-Text in ein historisches Lied in Kölner Mundart verwandelt. Es war der Auftakt zu zwei Studiensemestern in der „Närrischen Akademie“ der Gesellschaft „Närrische Norddürener“.
Meine Frau und ich hatten uns mutig zu dieser speziellen Veranstaltung, die bereits zum 18. Mal über die Bühne im großen „Hörsaal“ ging, als nicht die einzigen Erstsemester unter hunderten (Langzeit-)Studenten unterschiedlichsten Alters eingeschrieben. Grund: Als Fans der Knipp-Lieder sowie der Kölner Kult-Band „Bläck Fööss“ hatten wir vergangenes Jahr im Töpfereimuseum unseres vorherigen Wohnortes Langerwehe „De Knippschaff“ schon lieben gelernt. Erwünscht diesmal: Kleidung als Schülerin/Schüler oder Studentin/Student. „Umrahmt“ waren wir im „Hörsaal“ einerseits von einem Doktor mit entsprechendem Hut und Begleitung, auf der anderen Seite von einer ehemaligen Tennis-Kollegin meiner Frau samt Ehemann, der seinen Hochzeitsanzug trug und stolz war, dass ihm dieser auch nach über 50 Jahren noch passt.
In diesem Beitrag:
• Eine spezielle Art der Sitzung
• Mit Rohrstock und Pedell
• Blick hinter Kulissen des Kleinbürgertums
• Umfangreiches Knipp-Liedgut bewahren
• Tipps rund um die „Närrische Akademie“
Eine spezielle Art der Sitzung
Die „Närrische Akademie“ war rund um die Jahrtausendwende aus einer Idee von Professor Dr. Herbert Schmidt, Ex-Präsident der Gesellschaft und ehemaliger Nachbarn von uns, geboren worden. Er wollte eine etwas andere Sitzungsart testen. Die „Studenten“ bilden sich in der Spezial-Akademie Jahr für Jahr in einer anderen Thematik weiter. Ihr Dozent: der Lehrer Welsch, der stets ein anderes Prominenten-Gesicht hat. Diesmal in Person von Günther Antonius – genannt Bömmel – Lückerath, „Urgestein“ der weit über die Grenzen des Rheinlandes nicht nur durch jährliche Fernsehauftritte bekannten Kölner Kult-Band „Bläck Fööss“ (nackte Füße). Bömmel hatte sich 2023 nach über 50 Jahren als letztes Gründungsmitglied von der Musikgruppe verabschiedet. Ihm seien die vielen, wenn auch immer wieder wunderschönen Auftritte vor begeistertem Publikum einfach zu viel geworden. Und seinen längst ebenso erfolgreichen Nachfolgern könne er weniger derartige Erlebnisse einfach nicht abverlangen. Alles habe halt seine Zeit!
Übrigens: Heinrich Welsch (1848-1935) war zuletzt Rektor einer Hilfsschule im Kölner Stadtteil Kalk, wo er Schattenseiten des Lebens mit mangelnder Schulbildung, Armut und ungesunden Lebensverhältnissen kennenlernte. Der Vater von fünf Kindern kümmerte sich besonders um benachteiligte Schüler sowie junge, unverheiratete Mütter, die er trotz ihres „Fehltritts“ zurückführen wollte in die Familie, statt sie – wie damals oft üblich, zu verstoßen. Wie bekannt und beliebt Welsch war, zeigt sich im Lied „En d’r Kayjass Nummer Null“ (In der Kaygasse Nr. 0), das ihm allein gewidmet ist; der Evergreen kommt allerdings nicht aus der Knipp-Feder.
Mit Rohrstock und Pedell
Mitgebracht hatte Bömmel als „Lehrer Welsch“ den obligatorischen Rohrstock, den er zum Glück angesichts der braven und sehr aufmerksamen „Studenten“ nicht einsetzen musste: Der Pedell, alias Gesellschafts-Präsident Lothar Claßen, hatte den Saal jederzeit im Griff. Weitere Begleiter von Bömmel: sein alter Sängerkumpel Karl Friedrich („Kafi“) Biermann, früher Dozent an der Sporthochschule, sowie „De Knippschaff“.
Hans Rudolf Knipp, um dessen musikalisches Lebenswerk es in diesen beiden „Crash“-Semestern über zwei Doppelstunden unter anderem ging, hatte schon in seiner Jugend nach halbjährigem Gitarrenunterricht in seiner Freizeit begonnen, Texte zu schreiben und zu vertonen – und diese dann auf Kassettenrekorder aufgenommen.
Blick hinter Kulissen des Kleinbürgertums
Oft haben seine Lieder eine christliche Basis (Beispiele: „Wick is d‘r Wäch noh Kevelaer“ – Weit ist der Weg nach Kevelar – oder „Oh Herr“), mal einen historischen Hintergrund („Schlacht bei Worringen“ anno 1288 oder „Unterm Adler“ – gleichzeitig ein Friedenslied über eine Skulptur im Kölner Südpark aus Kanonen des 1. Weltkriegs, die eingeschmolzen worden waren zum Adler). Die meisten Knipp-Songs zeichnen sich aus durch sozialkritische Komponenten. Sie beschreiben mal melancholisch-traurig („Drink doch ene met“ – Trink doch einen mit – oder „Ming eetste Fründin“ – Meine erste Freundin), oft aber heiter und lustig zum Mitsingen und Tanzen (“Buuredanz“ – Bauerntanz – oder „Loss mer jet schunkele“- Lass uns was schunkeln-) die rheinisch-offene und tolerante („Unser Stammbaum“) Mentalität sowie unterschiedliche Großstadt-Milieus. Dabei wirft er einen scharfen, durchaus auch mal bissigen Blick hinter die Kulissen des Kleinbürgertums der Nachkriegszeit und der folgenden Jahre des „Wirtschaftswunders“. Liest und hört man Knipps Lieder, ist man sofort berührt, wird nachdenklich.
Zeitlebens hat Hans Rudolf Knipp an die 800 Liedtexte geschrieben und vertont. Vielen Rheinländern ist nicht bewusst, welche „Ohrwürmer“ sie Hans Knipp , der sich (obwohl anerkannt guter Sänger und Musiker) selbst scheute, ins Rampenlicht zu treten, zu verdanken haben. Immer wieder heißt es, Knipp sei der „unbekannteste Bekannte Kölns“. Versteht sich fast von selbst, dass Knipp zahlreiche Auszeichnungen erhalten hat.
Um von seiner „Freizeitbeschäftigung“ auch leben zu können, bot Hans Knipp seine Lieder Anfang der 70er Jahre den „Bläck Fööss“ an, die in der gestarteten „Rockmusik“-Zeit gerade dabei waren, sich von der mehr oder weniger bekannten Beat-Band „Stowaways“, die ich Anfang der 60er Jahre kennengelernt hatte, in eine Karnevalsgruppe zu verwandeln. Mit letztlich großem Erfolg, wobei die „Fööss“ längst nicht mehr nur in der „Fünften Jahreszeit“ und im Rheinland aktiv sind. Von seinen 800 Songs hat Knipp 150 ausschließlich für die „Bläck Fööss“ geschrieben und diesen zur Interpretation überlassen. Aber auch viele andere meist rheinische Musikgrößen haben sich bei ihm bedient. Übrigens: Als Knipps größter „hochdeutscher“ Erfolg gelten Text und Titelmelodie „Wartesaal der Träume“ zur ZDF-Serie „Die Weldings vom Hauptbahnhof“ ab Mitte der 90er Jahre.
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Von seinen 800 Songs hat Knipp 150 ausschließlich für die „Bläck Fööss“ geschrieben und diesen zur Interpretation überlassen
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Umfangreiches Knipp-Liedgut bewahren
Zurück zu den beiden Intensiv-Semestern in der Akademie: „De Knippschaff“, eine zehnköpfige Gruppe Kölner Musikerinnen und Musiker, hat sich bereits vor Knipps Tod locker zusammengefunden. Und tritt mit Unterstützung der Ex-„Fööss“ Bömmel und Kafi seit Ende 2011 sporadisch öffentlich auf, um Hans Knipp zu ehren, sein umfangreiches Liedgut zu bewahren und einem noch breiteren Publikum vertraut zu machen. Bislang musizierte das Ensemble vorzugsweise in der Domstadt, erfüllt inzwischen aber auch gerne Konzertwünsche aus dem Umkreis.
Die eifrigeren Akademie-Studenten als wir (was nicht ist, kann ja vielleicht noch werden), erhalten vom Veranstalter je nach Zahl der absolvierten Semester ein Vor- oder Volldiplom als Dokument der erfolgreichen Teilnahme. Und: Damit die Studierenden in den jeweiligen Intensiv-Semestern nicht nur Musik hören, sondern zur Entspannung während des konzentrierten Lernens auch den einen oder anderen „Augenschmaus“ sehen, wurden diesmal die große Jugendtanzgruppe (das kleinste Mariechen war gerade vier Jahre jung) der Funken Artillerie Blau-Weiß Köln sowie die „erwachsenere“ Nothberger Tanzschar neben „Lisbeth“ (Franz Josef Frings) als Redner(in) in der Bütt umjubelt.
Tipps rund um die „Närrische Akademie“
- Viele Knipp-Lieder kann man sich z. B. in der kostenpflichtigen App „Sonos“ oder auf Spotify bei den „Bläck Fööss“ anhören.
- Informationen zu Hans Rudolf Knipp, seinem Album sowie Büchern über sein Leben erhält man z. B. im Internet beim Googlen auf der gleichnamigen Facebook-Seite. Dies gilt auch für Lehrer Heinrich Welsch sowie die Gesangsgruppe „De Knippschaff“.
- Wer Knipp-Lieder hören will, wird in den nächsten Tagen bis Aschermittwoch traditionell wieder in aktuellen ARD- oder ZDF-Sitzungen, im 3. WDR-Regionalprogramm sowie diversen Wiederholungssendungen fündig werden.